20. April

An einem Sonntag kam eine Pilgergruppe vom Rhein. Sie war mit dem Zug bis Pfalzel gekommen und dann der Mosel entlang nach Trier gekommen. Es hatte unterwegs geregnet, allen war kalt – innerlich und äußerlich. In der Stationskirche wärmten sie sich auf. Einer der Männer fragt: „Jibt ett denn hier kein Herz-Jesu-Wasser? Ich meine so wat Jeist-reiches, ein jeistliches Jetränk, vielleicht bisschen höher prozentisch?“ Natürlich gab es das! Alle Vorräte an „Obst-Geistern“ aus dem Pfarrhaus wurden in die Kirche gebracht. Die Pilger wärmten sich äußerlich und innerlich – die Gastfreundschaft der ARCHE ist bei ihnen unvergessen.

Nachmittags kamen sie aus dem Dom nochmals zur Messe nach Herz-Jesu. Die frohen Lieder und die gute Stimmung nahmen sie mit nach Hause. Sie hatten unbedingt vor, ihren Pastor zuhause dazu zu bringen, einen so lebendigen Gottesdienst mit den Liedern aus der Stationskirche zu feiern. Bleibt zu hoffen, dass das auch ohne ARCHE und GLAUBE & LICHT gelingt.

An einem Tag schneite eine Gruppe aus Bolivien herein, Freunde von Ralf Schmitz. Erzbischof Edmundo Abastoflor aus La Paz, Pfarrer Erwin Graus und Gemeindemitglieder aus San Luiz bei Santa Cruz lobten Gott auf ihre Art: mit bolivianischen Liedern und Tänzen. Heinrich Feld, Gemeindemitglied von Herz-Jesu hatte ein „Kunstwerk zum Mitmachen“ in die Kirche gestellt. Hinter einem Vorhang war ein tanzender Rock zu sehen. Man brauchte ein bisschen Mut, um den Vorhang zu lüften. Immer wieder haben Leute ihre Gedanken und Kommentare dazu geschrieben.

Es gab aber auch immer wieder Einzelpilger und andere kleine Gruppen, die den Weg an den Rand – in die Stationskirche Herz Jesu – suchten und fanden. Sie wurden reich beschenkt und gingen anschließend begeistert oder getröstet ihrer Wege.

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21. April

Jeweils am ersten Abend oder ersten Tag eines Pilgerteams kam ein Vertreter des Bistums, um die Pilgerteams zu begrüßen und sie für ihren Dienst zu segnen: Bischof Dr. Stephan Ackermann, der Wallfahrtsleiter Dr. Georg Bätzing, der Dompropst Werner Rössel, Caritasdirektor Franz-Josef Gebert und Direktor Dr. Michael Kneib – allesamt gelungene Begegnungen! Bei Bischof Ackermann sprang der Funke besonders gut über. Er konnte eine Bewohnerin aus der ARCHE Ravensburg trotz anfänglicher Bedenken dazu bewegen, ihr Pilgerkleid anzuziehen. Außerdem hüpfte er bei einem Bewegungslied höher als alle anderen Teilnehmer des Gebetes. Bewohner und Betreuer aus der ARCHE Ravensburg waren sich einig: „Den nehmen wir mit nach Hause, als Assistenten!“

Alle Bistumsvertreter betonten, wie wichtig es ist, dass die ARCHE und GLAUBE & LICHT da sind – und dass Menschen mit Behinderungen andere auf ihrem Wallfahrtsweg begleiten, mit ihren Begabungen, ihrem Leben und ihrem Glauben.

Schönheit entdecken.

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22. April

„Nacktheit berühren“

An jedem Samstagabend wurde in der Stationskirche die „Fußwaschung“ gefeiert – das vergessene Sakrament. In der ARCHE ist es zentral. Es verbindet alle Menschen, jenseits von Konfessionen und Religionen. Der Ablauf war unterschiedlich, je nach Vorbereitung, von einer sehr einfachen Form bis hin zu einer vollen Liturgie. Dennoch stand immer das Gleiche in der Mitte: das Beispiel Jesu und die Jüngerinnen und Jünger, die den Auftrag Jesu erfüllen und einander die Füße waschen: Dabei wurden nicht nur symbolisch ein paar Tropfen über einen halb entblößten Fuß gegossen und anschließend abgetupft. Beide Füße wurden von Schuhen und Strümpfen befreit, gründlich gewaschen und abgetrocknet. Auch zwischen den Zehen. Zum Schluss wurden sie mit einem Hautöl zärtlich gesalbt. So flossen zwei Geschichten aus dem Johannesevangelium in eine Handlung zusammen: die Fußwaschung (Joh 13) und die Salbung Jesu durch Maria von Betanien (Joh 12). Die Fußwaschungsfeiern waren wohl die heiligsten Momente in der Stationskirche.

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23. April

Ein unbekannter junger Mann hatte den Weg zur Fußwaschung gefunden. Er wirkte etwas angespannt, aber auch sehr intensiv innerlich beteiligt. Beim Gespräch stellte sich heraus, dass es ein Priester aus einem anderen Bistum war. Er meinte, alle seine Mitbrüder seien jetzt zur Pontifikalvesper in den Dom gegangen. Ihm war die Fußwaschung wichtiger, weil er so etwas noch nie erlebt hatte. Er ging tief berührt und dankbar weg.

24. April

An einem Samstag war auch eine Gruppe der Gehörlosengemeinde Limburg dabei. Sie wollten einfach nur mal zuschauen, aber auf keinen Fall mitmachen. So hatten sie es vorher erklärt. Dann begann die Feier. Sie betrachteten aufmerksam und neugierig das Geschehen – und als der erste von ihnen an die Reihe kam, machten er und die anderen selbstverständlich mit: sie ließen sich die Füße waschen und salben, und sie wuschen und salbten die Füße der anderen. Das Zeichen hatte sie in das Geschehen hinein gezogen, es sprach für sich selbst. Die Begeisterung war groß. Sie wollten die Fußwaschung auch in ihren gebärdensprachlichen Gottesdiensten in Limburg einführen.

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25. April

Bei der letzten Fußwaschungsfeier kam eine Mutter mit ihren beiden erwachsenen Kindern – allerdings etwas zu spät, die Feier ging schon langsam zu Ende.

Nachdem die meisten Teilnehmer schon gegangen waren, kam die Mutter auf Ralf Schmitz zu. „Es tut uns so leid! Wir wollten unbedingt um halb acht hier sein. Wir saßen im Dom und dann ist die Uhr stehen geblieben. Als wir es gemerkt haben, war es schon kurz vor acht! Wir sind dann hierher gelaufen – und kamen zu spät. Mein Sohn muss aber die Füße gewaschen bekommen – können Sie das bitte noch für uns tun?“ Der Akzent der Familie wies Richtung Ostdeutschland. Einerseits waren wir unter Zeitdruck, weil noch einiges in der Kirche für den Abschluss am nächsten Morgen vorzubereiten war. Außerdem war sie nun wirklich zu spät gekommen… Andererseits war es anrührend, dass sie den ganzen Weg vom Dom nach Herz-Jesu auf sich genommen hatten, obwohl es schon viel zu spät war. Sie hätten ja auch schon vor verschlossener Tür stehen können.

Wir erklärten ihnen den Ablauf der Feier – und dass sie sich gegenseitig die Füße waschen, dass man also nicht einfach „die Füße gewaschen bekommt“, sondern das auch selbst tut. Sie berieten sich kurz. „Ja, wir machen das!“ sagten die drei. Nach einem Gebet zog der junge Mann zog Schuhe und Strümpfe aus. „Sie werden gleich sehen, warum er die Fußwaschung braucht!“ sagte die Mutter. Die Füße des jungen Mannes waren von einem starken neurodermitischen Ekzem gezeichnet.

Das hatten wir nicht erwartet. Nach einer Schocksekunde wusch Ralf ihm vorsichtig die Füße und salbte sie mit Öl. Er wusch seiner Schwester die Füße und sie ihrer Mutter. Wir beten gemeinsam, sie bedankten sich gerührt und bewegt – und verschwanden wieder in die Nacht. Das war sicher einer der heiligsten Momente in der Stationskirche.

Jean Vanier schrieb: „Das ist der Auftrag für einen jeden von uns: einander zu dienen in Liebe und Demut.“ Nacktheit berühren.

26. April

„Im Frieden sein – Frieden bringen“

Die Wallfahrtsteams hatten eine Mission, auf ihrem Weg in die Stadt und auch bei ihrer Präsenz in der Stationskirche. „Im Frieden sein – das bedeutet, wir wissen, dass Jesus uns wirklich liebt. Frieden bringen – das heißt: mit dieser Liebe im Herzen zusammenführen, was getrennt ist und einander annehmen. Wir erlauben Jesus, dass er andere Menschen durch uns liebt.“(Jean Vanier).

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27. April

Diese Mission wurde des Öfteren Wirklichkeit. Zum Beispiel an einer Ampel Richtung Stadt. Das ARCHE-Wallfahrtsteam wartete auf „grün“. Von der anderen Seite her entdeckte sie ein Passant, der dort mit seinen Einkaufstüten stand. Als sie bei ihm ankamen, beschimpfte er sie übel. Was für ein Unsinn das sei, mit der Wallfahrt, und diesem Rock, wie man denn Unterwäsche anbeten könne, und warum sie so albern aussehen würden, und die ganze Geldverschwendung und so weiter und so weiter – einmal die ganze Palette der Kritik!

Die Teammitglieder waren betroffen, entsetzt, enttäuscht. Aber sie blieben und hörten zu. Sie rechtfertigten sich nicht. Der Mann war offensichtlich krank. Weil er sich so aufgeregt hatte, konnte er sich nicht auf den Beinen halten, die Einkauftaschen glitten ihm aus den Händen und er fiel ihnen direkt vor die Füße. Nein, er sei nicht betrunken – er verliere manchmal das Gleichgewicht. Sie halfen ihm auf, sammelten die Einkaufstaschen wieder ein – und begleiteten ihn bis zur Haustür, irgendwo in der Kaiserstraße. Sie gingen schweigend. An der Haustür fing der Mann an zu weinen, bedankte und entschuldigte sich gleichermaßen. Er erzählte ihnen seine Lebensgeschichte, die voll war von Verletzungen, auch durch Kirchenleute. Sein Hass wurde verständlicher.

Es sei wunderbar, dass die Wallfahrt so gute Menschen nach Trier bringe, sagte er zum Abschied. Und sie könnten ihn gern mal besuchen. Die Leute von der ARCHE waren tief bewegt. Es gab keine Gebetszeit mehr ohne Fürbitte für Karl.

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28. April

Die Wallfahrtsleitung hatte dankenswerterweise die Verpflegung der Teams organisiert. So wurden zu jeder Mahlzeit aus der Pilgerküche große Mengen von Lebensmitteln geliefert. Manchmal waren die Mengen zu groß. Es war logistisch nicht möglich, kleinere Portionen zu bestellen oder ganze Mahlzeiten ausfallen zu lassen. In einem Team war der Überfluss so groß, dass das Wallfahrtsteam in der Stadt Brötchen und Obst verteilen wollte. Schnell hatten sie die Plätze gefunden, wo Menschen sich treffen, die kein Zuhause haben – und oft auch nicht genug zu essen. Die Teammitglieder kehrten mit leeren Verpflegungstaschen und glücklichem Herzen zurück. Einmal berichteten sie: „Ein Trierer hat uns erklärt, wer die guten und wer die nicht so guten Menschen ohne Obdach sind. Die „nicht so Guten“ belagern den Kinderspielplatz und vertreiben die Kinder. Denen haben wir dann keine Brötchen mehr gebracht!“ Im Frieden sein – Frieden bringen.

 

29. April

„Vergebung erfahren“

Tausende von Fürbitten und Gebetskerzen aus dem Dom wurden von der Wallfahrtsleitung in die Stationskirchen gebracht, damit in den Anliegen der Menschen gebetet wird. In „Herz-Jesu“ wurden Bitten und Lichter als kostbare Schätze behandelt. Sie wurden alle gelesen, bedacht, gebetet, gebündelt, zu größeren Themenkreisen zusammen gefasst.

 

Besonders Dorothea aus dem letzten Team fand darin ihre Berufung und ihre Erfüllung. „Hier kann ich ungestört eine ‚fromme Nudel‘ sein. Das kann ich zuhause nicht so leicht. Da haben die anderen Gemeindemitglieder das nicht so gern.“ Als stolze Protestantin war sie etwas widerwillig nach Trier gekommen, geführt von dem Vorsatz: „Denen, die einem toten Rock nachlaufen, werde ich vom lebendigen Jesus erzählen!“ Das Gebet eines zwölfjährigen Jungen auf einem der Gebetszettel ließ – wie sie selbst schreibt – ihren Stolz zusammenbrechen: „Lieber Gott, segne meinen Papa, der nicht mehr bei uns wohnt und vergib ihm alle Sünden.“ Wenn so etwas Gutes in der Nähe des Rockes geschieht, kann das nichts Schlechtes sein! In der Gemeinschaft der besonderen Menschen der ARCHE und von GLAUBE & LICHT waren die Bitten gut aufgehoben. „Vergib denen, die dich verletzt oder beleidigt haben – und hilf ihnen zu entdecken, wie wunderbar sie sind. So bist du ein guter Hirt, eine gute Hirtin!“ (Jean Vanier).