„Stolpersteine“ erinnern an gehörlose Opfer der Nazi-Herrschaft – 8. September in Trier

Am 8. September wurden in Trier wieder einmal „Stolpersteine“ in einen Bürgersteig gelegt: diesmal in der Engelstraße, vor dem Eingang zum früheren Evangelischen Elisabeth-Krankenhaus.
Die Stolpersteine erinnern an Menschen, die von der Nazi-Herrschaft gequält und getötet wurden: Menschen mit jüdischem Glauben, anders Denkende, Sozialisten und Kommunisten, Roma und Sinti (die man früher „Zigeuner“ genannt hat) , Schwule und Lesben, viele andere mehr – und auch Menschen mit einer Behinderung, darunter gehörlose Menschen. 

In Trier kümmert sich vor allem der „Kulturverein Kürenz“ darum, dass das Leid der Opfer von damals nicht vergessen wird – und dass Menschen heute den „neuen Nazis“ nicht nachlaufen.
8 Stolpersteine erinnern an gehörlose Menschen, die gegen ihren Willen und gegen den Willen der Familien zwangsweise sterilisiert wurden. Ihr Leid war lange verborgen. Heute sind einige bereit, öffentlich von ihrem Schicksal zu sprechen.
Emil Heyen – weit über 90 Jahre alt – war gekommen und hat ein wenig aus seinem Leben erzählt. Das erste Opfer war Gertrud Lambert aus dem Saarland, die schon 3 Jahre nach der schlimmen Operation gestorben ist. Einige Namen der Opfer sind noch gut bekannt, andere nicht. Und es sind noch längst nicht alle… Sie stehen fein ordentlich aufgeschrieben im Schulbuch der Trierer „Provinzial-Taubstummen-Anstalt“.
Dr. Thomas Schnitzler vom Kulturverein Kürenz erklärte die Aufschrift der Steine:
„Als geheilt entlassen“ steht in den Akten, nach der Zwangs-Sterilisierung. Sie zeigt die Menschenverachtung der Nazis!

 

Es war noch jemand gekommen: Der Sohn  des Arztes, der damals im Elisabeth-Krankenhaus die Zwangssterilisierung durchgeführt hat. Der Arzt hieß Dr. Herbert Schulzebeer. Sein Sohn Michael Schulzebeer lebt heute in Hamburg und hat erst nach dem Tod seines Vaters von dessen „Taten“ erfahren. Er sagte: „Mein Vater hat seinen Eid als Arzt gebrochen. Ein Arzt soll heilen, und nicht quälen oder töten! Seine Schuld wurde niemals bestraft. Ich schäme mich für das, was mein Vater getan hat. Ich kann nicht um Entschuldigung bitten. Ich kann nur sagen: Es tut mir leid, was die Betroffenen erlitten haben! Ich hoffe, dass die Betroffenen mein Mitgefühl annehmen können!“ *
Es war sehr bewegend, als Michael Schulzebeer mit Emil Heyen sprach und sagte:  „Der Arzt, der Ihnen das Leid angetan hat, das war mein Vater!“  Emil war auch sehr betroffen. Viele Erinnerungen kamen zurück.

Warum muss man sich heute noch an die Opfer, an das Leid, an die Schuldigen erinnern? Damit die Opfer wenigstens heute Respekt, Ehre und Gerechtigkeit erleben. Und damit sich das Schicksal nicht wiederholt. Auch heute gibt es Parteien, die wieder rufen: „Ausländer raus, Arme raus, Behinderte raus, Schwule und Lesben raus!“
Wir müssen sehr wachsam sein und protestieren!
    

* Hier der Text von Michael Schulzebeer im Wortlaut (mit seiner freundlichen Abdruck-Genehmigung):
Stolpersteinverlegung am 8.September 2016, Trier

Vor 80 Jahren hat mein Vater an diesem Ort seinen Eid gebrochen und seine Macht als Arzt gegen die Menschen gerichtet, indem er sie gegen ihren Willen unter Zwang sterilisiert hat. Das war ein Verbrechen. Eines, das nicht bestraft oder gesühnt wurde. Er hat zwar die Annehmlichkeiten nach dem Krieg verloren, die ihm durch die willfährige Bereitschaft zu derart unchristlichen Taten an diesem kirchlichen Krankenhaus zuteil wurden. Aber mit Leugnen und Falschaussagen ist er durch das recht weitmaschige Netz der Entnazifizierung geschlüpft.

Als Nachgeborener empfinde ich keine Schuldgefühle, wohl aber Scham. -  Ich kann mich nicht entschuldigen für meinen Vater. Ich kann  nur hoffen, dass mir das Mitgefühl für die Opfer von ihnen (Ihnen) abgenommen wird: Es tut mir Leid.
Fassungslos und beschämt stehe ich vor ihnen (Ihnen) und kann mir bis heute nicht wirklich erklären, wie mein eigener Vater, wie überhaupt ein Mensch – noch dazu ein gebildeter, feinsinniger – so etwas tun konnte.

Als ich von den Verbrechen meines Vaters erfuhr, war er schon Jahrzehnte tot, so dass der in mir aufkeimende Zorn keinen persönlichen Adressaten mehr treffen konnte und zu meinem eigenen Erstaunen auch nicht zu extremen Hassgefühlen führte. Es blieb allein die Scham, die dann auch die Gesellschaft betraf, die Jahrzehnte gebraucht hat, alle Opfer der Naziherrschaft als solche zu sehen und zu benennen. Beschämend, dass es erst solch energischer Kämpfer bedurfte wie Herrn Henning, um ihnen Anerkennung und finanzielle „Wiedergutmachung“ zu verschaffen. Ihnen gelten meine Hochachtung und mein Dank.

Dank möchte ich auch denen sagen, die sich gegen das Vergessen anstemmen, die forschen, erinnern, mahnen, anklagen. Nach 70 Jahren noch. Ich fühle mich ihnen verbunden, wenn ich mit „meiner“ Geschichtswerkstatt in Hamburg-St.-Georg z.B. an dort verlegten Stolpersteinen das Leben und Leiden ermordeter Naziopfer über öffentliche Lesungen von Briefen und Dokumenten Revü passieren lassen und einem jungen Publikum ins Gedächtnis rufen kann. Alles im Vetrauen darauf, dass es hilft derlei Greuel in der Zukunft zu verhindern.
Ich hoffe, dass auch diese neuen Stolpersteine dazu beitragen. Vielen Dank.

Weitere Infos über „Stolpersteine in Trier“ auf der Website
der Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten

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