Ein unbekannter junger Mann hatte den Weg zur Fußwaschung gefunden. Er wirkte etwas angespannt, aber auch sehr intensiv innerlich beteiligt. Beim Gespräch stellte sich heraus, dass es ein Priester aus einem anderen Bistum war. Er meinte, alle seine Mitbrüder seien jetzt zur Pontifikalvesper in den Dom gegangen. Ihm war die Fußwaschung wichtiger, weil er so etwas noch nie erlebt hatte. Er ging tief berührt und dankbar weg.
Archiv des Autors: Ralf
24. April
An einem Samstag war auch eine Gruppe der Gehörlosengemeinde Limburg dabei. Sie wollten einfach nur mal zuschauen, aber auf keinen Fall mitmachen. So hatten sie es vorher erklärt. Dann begann die Feier. Sie betrachteten aufmerksam und neugierig das Geschehen – und als der erste von ihnen an die Reihe kam, machten er und die anderen selbstverständlich mit: sie ließen sich die Füße waschen und salben, und sie wuschen und salbten die Füße der anderen. Das Zeichen hatte sie in das Geschehen hinein gezogen, es sprach für sich selbst. Die Begeisterung war groß. Sie wollten die Fußwaschung auch in ihren gebärdensprachlichen Gottesdiensten in Limburg einführen.
25. April
Bei der letzten Fußwaschungsfeier kam eine Mutter mit ihren beiden erwachsenen Kindern – allerdings etwas zu spät, die Feier ging schon langsam zu Ende.
Nachdem die meisten Teilnehmer schon gegangen waren, kam die Mutter auf Ralf Schmitz zu. „Es tut uns so leid! Wir wollten unbedingt um halb acht hier sein. Wir saßen im Dom und dann ist die Uhr stehen geblieben. Als wir es gemerkt haben, war es schon kurz vor acht! Wir sind dann hierher gelaufen – und kamen zu spät. Mein Sohn muss aber die Füße gewaschen bekommen – können Sie das bitte noch für uns tun?“ Der Akzent der Familie wies Richtung Ostdeutschland. Einerseits waren wir unter Zeitdruck, weil noch einiges in der Kirche für den Abschluss am nächsten Morgen vorzubereiten war. Außerdem war sie nun wirklich zu spät gekommen… Andererseits war es anrührend, dass sie den ganzen Weg vom Dom nach Herz-Jesu auf sich genommen hatten, obwohl es schon viel zu spät war. Sie hätten ja auch schon vor verschlossener Tür stehen können.
Wir erklärten ihnen den Ablauf der Feier – und dass sie sich gegenseitig die Füße waschen, dass man also nicht einfach „die Füße gewaschen bekommt“, sondern das auch selbst tut. Sie berieten sich kurz. „Ja, wir machen das!“ sagten die drei. Nach einem Gebet zog der junge Mann zog Schuhe und Strümpfe aus. „Sie werden gleich sehen, warum er die Fußwaschung braucht!“ sagte die Mutter. Die Füße des jungen Mannes waren von einem starken neurodermitischen Ekzem gezeichnet.
Das hatten wir nicht erwartet. Nach einer Schocksekunde wusch Ralf ihm vorsichtig die Füße und salbte sie mit Öl. Er wusch seiner Schwester die Füße und sie ihrer Mutter. Wir beten gemeinsam, sie bedankten sich gerührt und bewegt – und verschwanden wieder in die Nacht. Das war sicher einer der heiligsten Momente in der Stationskirche.
Jean Vanier schrieb: „Das ist der Auftrag für einen jeden von uns: einander zu dienen in Liebe und Demut.“ Nacktheit berühren.
26. April
„Im Frieden sein – Frieden bringen“
Die Wallfahrtsteams hatten eine Mission, auf ihrem Weg in die Stadt und auch bei ihrer Präsenz in der Stationskirche. „Im Frieden sein – das bedeutet, wir wissen, dass Jesus uns wirklich liebt. Frieden bringen – das heißt: mit dieser Liebe im Herzen zusammenführen, was getrennt ist und einander annehmen. Wir erlauben Jesus, dass er andere Menschen durch uns liebt.“(Jean Vanier).
27. April
Diese Mission wurde des Öfteren Wirklichkeit. Zum Beispiel an einer Ampel Richtung Stadt. Das ARCHE-Wallfahrtsteam wartete auf „grün“. Von der anderen Seite her entdeckte sie ein Passant, der dort mit seinen Einkaufstüten stand. Als sie bei ihm ankamen, beschimpfte er sie übel. Was für ein Unsinn das sei, mit der Wallfahrt, und diesem Rock, wie man denn Unterwäsche anbeten könne, und warum sie so albern aussehen würden, und die ganze Geldverschwendung und so weiter und so weiter – einmal die ganze Palette der Kritik!
Die Teammitglieder waren betroffen, entsetzt, enttäuscht. Aber sie blieben und hörten zu. Sie rechtfertigten sich nicht. Der Mann war offensichtlich krank. Weil er sich so aufgeregt hatte, konnte er sich nicht auf den Beinen halten, die Einkauftaschen glitten ihm aus den Händen und er fiel ihnen direkt vor die Füße. Nein, er sei nicht betrunken – er verliere manchmal das Gleichgewicht. Sie halfen ihm auf, sammelten die Einkaufstaschen wieder ein – und begleiteten ihn bis zur Haustür, irgendwo in der Kaiserstraße. Sie gingen schweigend. An der Haustür fing der Mann an zu weinen, bedankte und entschuldigte sich gleichermaßen. Er erzählte ihnen seine Lebensgeschichte, die voll war von Verletzungen, auch durch Kirchenleute. Sein Hass wurde verständlicher.
Es sei wunderbar, dass die Wallfahrt so gute Menschen nach Trier bringe, sagte er zum Abschied. Und sie könnten ihn gern mal besuchen. Die Leute von der ARCHE waren tief bewegt. Es gab keine Gebetszeit mehr ohne Fürbitte für Karl.
28. April
Die Wallfahrtsleitung hatte dankenswerterweise die Verpflegung der Teams organisiert. So wurden zu jeder Mahlzeit aus der Pilgerküche große Mengen von Lebensmitteln geliefert. Manchmal waren die Mengen zu groß. Es war logistisch nicht möglich, kleinere Portionen zu bestellen oder ganze Mahlzeiten ausfallen zu lassen. In einem Team war der Überfluss so groß, dass das Wallfahrtsteam in der Stadt Brötchen und Obst verteilen wollte. Schnell hatten sie die Plätze gefunden, wo Menschen sich treffen, die kein Zuhause haben – und oft auch nicht genug zu essen. Die Teammitglieder kehrten mit leeren Verpflegungstaschen und glücklichem Herzen zurück. Einmal berichteten sie: „Ein Trierer hat uns erklärt, wer die guten und wer die nicht so guten Menschen ohne Obdach sind. Die „nicht so Guten“ belagern den Kinderspielplatz und vertreiben die Kinder. Denen haben wir dann keine Brötchen mehr gebracht!“ Im Frieden sein – Frieden bringen.
29. April
„Vergebung erfahren“
Tausende von Fürbitten und Gebetskerzen aus dem Dom wurden von der Wallfahrtsleitung in die Stationskirchen gebracht, damit in den Anliegen der Menschen gebetet wird. In „Herz-Jesu“ wurden Bitten und Lichter als kostbare Schätze behandelt. Sie wurden alle gelesen, bedacht, gebetet, gebündelt, zu größeren Themenkreisen zusammen gefasst.
Besonders Dorothea aus dem letzten Team fand darin ihre Berufung und ihre Erfüllung. „Hier kann ich ungestört eine ‚fromme Nudel‘ sein. Das kann ich zuhause nicht so leicht. Da haben die anderen Gemeindemitglieder das nicht so gern.“ Als stolze Protestantin war sie etwas widerwillig nach Trier gekommen, geführt von dem Vorsatz: „Denen, die einem toten Rock nachlaufen, werde ich vom lebendigen Jesus erzählen!“ Das Gebet eines zwölfjährigen Jungen auf einem der Gebetszettel ließ – wie sie selbst schreibt – ihren Stolz zusammenbrechen: „Lieber Gott, segne meinen Papa, der nicht mehr bei uns wohnt und vergib ihm alle Sünden.“ Wenn so etwas Gutes in der Nähe des Rockes geschieht, kann das nichts Schlechtes sein! In der Gemeinschaft der besonderen Menschen der ARCHE und von GLAUBE & LICHT waren die Bitten gut aufgehoben. „Vergib denen, die dich verletzt oder beleidigt haben – und hilf ihnen zu entdecken, wie wunderbar sie sind. So bist du ein guter Hirt, eine gute Hirtin!“ (Jean Vanier).
30. April
„Vergebung erfahren“
Tausende von Fürbitten und Gebetskerzen aus dem Dom wurden von der Wallfahrtsleitung in die Stationskirchen gebracht, damit in den Anliegen der Menschen gebetet wird. In „Herz-Jesu“ wurden Bitten und Lichter als kostbare Schätze behandelt. Sie wurden alle gelesen, bedacht, gebetet, gebündelt, zu größeren Themenkreisen zusammen gefasst.
Durch die Präsenz der Wallfahrtsteams konnte die Herz-Jesu-Kirche ganztags offen bleiben. Sie ist sonst nur zu den Gottesdiensten geöffnet. Es kamen nicht die großen Pilgerströme, dafür aber Menschen aus der Nachbarschaft. Nachdem sie mehrfach an der offenen Kirchentür vorbei gelaufen waren, mit einem scheuen Blick in das Kircheninnere, trauten sie sich hinein, nach der Arbeit oder nach dem Einkauf.
Auch ein Stadtratsmitglied war dabei. „Ich wohne in der Nachbarschaft und ich war noch nie in dieser Kirche. Sie ist immer verschlossen!“ Er kam gerade vom Empfang des Oberbürgermeisters für den Päpstlichen Gesandten zur Heilig-Rock-Wallfahrt. Er interessierte sich für die Kirche, ihre Ausstattung, für die ARCHE und für die Menschen, die ihn so freundlich und unaufdringlich empfingen – mit einem Wort, mit Kaffee, Sprudel und den Heilig-Rock-Keksen.
1. Mai
Die Menschen, die kamen, konnten die Kirche besichtigen, sich ein wenig ausruhen, eine Kerze anzünden, Informationen über die ARCHE und GLAUBE & LICHT sammeln. Vor allem konnten sie reden. Ihre eigenen Geschichten erzählen, von früher, aus der Nachbarschaft der Kirche, aus ihrem persönlichen Leben. Es waren auch viele Kirchengeschichten dabei, schöne und noch mehr traurige. Es war ein Zeichen von Heilung und Vergebung, dass sie hereingekommen sind.
Eine Frau mit russischem Hintergrund kam täglich – um Stricken zu lernen, angeleitet durch ‚die fromme Nudel‘. Dabei erzählte sie in gebrochenem Deutsch aus ihrem Leben in der alten Heimat und in diesem fremden Land, das jetzt ist Heimat ist und von ihrer Suche nach Halt und Glück.
Es gibt eine verborgene scheue Sehnsucht nach Gott, gleich um die Ecke, in der Nachbarschaft, im Alltag des Trierer Südens. Die wenigsten dieser Besucher werden den Weg in den Dom gefunden haben. Trotzdem sind sie Jesus begegnet.
2. Mai
„Von Jesus geliebt“
Ein besonderes Erlebnis war das Abendlob, im Dom, ganz nah am Gewand Jesu. Die Wallfahrtsleitung hatte bewusst die ARCHE und GLAUBE & LICHT gebeten, ein solches Abendlob zusammen mit dem Gebärdenchor „Salve“ der Katholischen Gehörlosengemeinde und dem Chor „Singflut“ der Pfarrei St. Matthias zu gestalten. Mehr als 1000 Menschen erlebten einen unvergesslichen Abend, genauso wie alle, die beim Abendlob mitwirkten.
„Ein Gewebe ganz eigener Art ist entstanden in der Stationskirche Herz Jesu: ein Gewebe aus Menschen mit und ohne Behinderung. Ein Gewebe aus Menschen, die mit ihren Stimmen und mit ihren Händen sprechen, singen und beten. Ein Gewebe aus Liedern, Worten und Gebärden – aus dem Schatz der ARCHE und dem Schatz der Gehörlosengemeinde.“ So hieß es in der Begrüßung. Dieses flüchtige Gewebe brachten die drei Gruppen gemeinsam zum Heiligen Rock: als Dank, als Botschaft und als Bitte. Moderne Kirchenlieder aus Nordamerika wurden vom Gebärdenchor und vom Chor „Singflut“ vorgetragen. Dazwischen lasen Elisabeth und Ole aus der ARCHE Tecklenburg Texte vor, die aus den Gedanken der Wallfahrtsteams zu den „Tagesthemen“ von Jean Vanier entstanden waren. Eine Frau bedankte sich im Anschluss: „Das war ganz besonders, ganz anders. Keine blutleeren Texte. Das war frisch, durchlebtes Leben! Die Menschen mit Behinderungen und ihre Begleiter haben uns einen großen Dienst erwiesen. Sie zeigen uns, dass wir alle von Jesus geliebt sind!“